Die Bibel im Islam

Die Anfänge der Bibel liegen im ersten vorchristlichen Jahrtausend.   Während die Schriften der Bibel über Jahrhunderte zusammengetragen wurden, entstand der Koran in relativ kurzer Zeit: Mohammed ibn Abd Allah wurde um 570 nach Christus in der Stadt Mekka geboren. Er empfing seine erste Offenbarung im Alter von vierzig Jahren, mit seinem Tod im Jahre 632 galten die Inhalte des Korans als abgeschlossen.


Über Jahrhunderte hinweg werden die Geschichten des Alten Testaments zunächst mündlich überliefert, dann niedergeschrieben und schließlich zu einem Buch zusammengefügt wurden, dem Tanach, der hebräischen Bibel oder Heiligen Schrift des Judentums. Die Tora bezeichnet dabei den ersten Teil des Tanach, die fünf Bücher Mose. Das Christentum übernimmt diese als Altes Testament und erweitert sie um die Evangelien, die Apostelgeschichte, die apostolischen Briefe und die Apokalypse (Offenbarung des Johannes). Später kommt noch das neue Testament hinzu. Im Endergebnis wird die aus 73 Büchern (46 Bände im Alten Testament und 27 im Neuen Testament) bestehende Bibel des Christentums aus ganz unterschiedlichen literarischen Texten zusammengestellt, die im Laufe der Jahrhunderte durch Gott beeinflusst von vielen verschiedenen Menschen geschrieben wurden. Nach muslimischem Verständnis haben sich dabei Fehler eingeschlichen. Die biblischen Schriften wurden teilweise fehlerhaft interpretiert, wiedergegeben. Das wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass an der Entstehung der Bibel im Lauf der Jahrhunderte mehr als 40 Schreiber beteiligt waren. Das waren sehr unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Kulturen und Gesellschaftsschichten. Die Schriften entstanden dabei auch an sehr unterschiedlichen Orten im vorderen Orient. Im Gegensatz dazu wurden die Offenbarungen des Korans von nur einem Mensch empfangen und wortgetreu weitergegeben. Bis zu seinem Tod 632 erscheint Mohammed immer wieder der Erzengel Gabriel, der ihm nach und nach den gesamten Koran übermittelt. Mohammed lernt jeden der Verse auswendig und gibt sie sofort Wort für Wort an seine Anhänger weiter. Nach seinem Tod wurden die Aussagen von seinem Sekretär Zaid ibn Thabit niedergeschrieben und in 114 Suren gefasst für die Nachwelt dogmatisiert. Da der Prophet selbst des Schreibens unkundig war, legten sogenannte Schreiber, auch als "Sekretäre" bezeichnet, den heiligen Wortlaut der Offenbarungen auf Mohammeds Geheiß nieder.

Zaid ibn Thabit gilt als einer der angesehensten Schreiber Mohammeds, von denen es bis zum Tode des Propheten etwa 40 gegeben haben soll. Auf Veranlassung des dritten Kalifen Uthman ibn Affan erstellte Zaid ibn Thabit zwischen 644 und 653 eine Kompilation der Korantexte, die bis heute als die einzige kanonische Fassung des Korans ausschließlich Gültigkeit hat. Der Koran bildet daher aus sprachlicher, literarischer, historischer, geografischer und ethnologischer Sicht im Gegensatz zur Bibel eine Einheit.


Die Muslime glauben, Juden und Christen seien nicht mehr im Besitz der authentischen göttlichen Offenbarung. Sie sehen die Bibel daher anders als die Christen. Nach ihrer Vorstellung gehen Bibel und Koran zwar beide auf eine göttliche Ur-Schrift zurück, die durch von Gott ausgewählten und inspirierten Propheten wie Mose, Jesus und Mohammed niedergeschrieben wurde. Bibel und Koran haben daher beide den Stellenwert einer göttlichen Offenbarung. Nach islamischem Verständnis hat der Koran aber als letzte göttliche Offenbarung die Bibel abgelöst. Der Auftrag Gottes an Mohammed war es, die in seinen Augen erfolgte Fehlinterpretation der Bibel zu korrigieren und sie durch eine letzte und ewig gültige Offenbarung abzulösen. Für Muslime ist der Koran daher die wörtliche und nicht von Menschenhand interpretierte Aussage Gottes. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum christlichen Verständnis der Bibel. In der Bibel nehmen Erzählungen einen sehr großen Raum ein,wie die großen Geschichtszyklen über Abraham, Mose und Noah im Alten Testament. Im Neuen Testament findet man Geschichten über die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, über seine Geburt, sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung. Gott offenbart sich in Jesus Christus (Inkarnation). Der Koran hingegen ist Gottesrede und Religionsgesetz und regelt nahezu alle Bereiche des muslimischen Alltags. Gott (Allah) redet mit den Menschen im Koran. Er offenbart sich ihnen im Koran (Inlibration). Der Koran nimmt vielfach Bezug auf die hebräische Bibel sowie auf christliche Schriften, insbesondere die apokryphen Evangelien. Doch nicht nur die Grundthemen und Fragen sind ähnlich – in Bibel und Koran finden sich auch dieselben Figuren wieder, wie Adam, Abraham (Ibrahim), Mose (Musa), aber auch Maria (Maryam) und Jesus (Isa ibn Maryam). Zahlreiche biblische Gleichnisse finden sich ohne wesentliche Abweichungen ebenso im Koran: die Erschaffung des Menschen, Paradies und Sündenfall. Die Sintflut und das Gleichnis von Kain und Abel werden ebenso im Koran behandelt. Ganze Kapitel des Korans, die sog. Suren, sind den wichtigsten Figuren des Christentums, Jesus und Maria, gewidmet und tragen sogar ihren Namen. So trägt z. B. die Sure 19 den Namen Maria. Im Koran gilt Jesus als einer der größten Propheten (Sure 19,31) und wird insgesamt in 15 Suren erwähnt (z. B. Suren 23,50; 23,91; 42,13; 43,63). Über 200 Verse sind Jesus gewidmet. In den Suren 3,38-47 und 19,1-34 spricht der Koran über die wundersame Geburt Jesu. Neben dem Christentum ist der Islam damit die einzige Religion, die dieses Wunder zweifelsfrei bejaht.


Jesus Wundertaten, die im Koran erwähnt werden, entsprechen im Großen und Ganzen denen der Evangelien: die Heilung des Blindgeborenen, die Heilung eines Leprakranken und die Auferweckung von Toten. Der Koran geht sogar noch weiter, indem er Jesus diverse Attribute zuspricht. Neben seiner wundersamen Geburt, die der Islam anerkennt, bestätigt der Koran, dass Jesus das Wort Gottes ist: Sure 3,45: O Maria, Gott verkündet dir sein Wort, sein Name wird Christus sein, Jesus, Sohn der Maria. Der Koran beteuert außerdem, dass Jesus der Geist Gottes ist (Sure 4,171). Dem Koran zufolge ist Jesus der einzige Prophet, durch das direkte Eingreifen Gottes geboren wurde: Wir haben in sie [Maria] gegeben von unserem Geist.  Laut Koran verwendet der Engel Gabriel gegenüber Maria folgende Formulierung: „Ich bin nichts als ein Botschafter deines Herrn, um dir einen reinen Sohn zu geben“ (Sure 19,19). Rein bedeutet ohne Sünde. Daher spricht Ibn-Arabi Jesus den Titel „das Siegel der Heiligkeit“ zu . Damit ist Jesus der einzige Prophet, von dem der Koran sagt, dass er nie einen Fehler begangen habe, im Gegensatz zu anderen Propheten, deren Sünden im Koran erwähnt werden. Neben diesen Titeln werden Jesus weitere spezielle Attribute zugesprochen, wie etwa der Messias, „er gehört zu denen, die in Gottes Nähe weilen“ (Sure 3,45) und dass er das „Zeichen der Stunde“ am Ende der Zeiten sein wird. Jesus – nicht Mohammed oder Abraham (der Vater der Gläubigen) – wird von Gott auserwählt, um die Friedensherrschaft auf der Erde aufzurichten. 
 
 Von der Kreuzigung Jesu kennt der Koran jedoch eine von der Bibel abweichende Version. Da heißt es, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben ist, sondern ein anderer, der ihm nur sehr ähnlich sah. Im Koran steht 'Schubbiha lahom', was so viel bedeutet wie: Er erschien ihm gleich. Einige Islamgelehrte gehen davon aus, dass der echte Jesus noch lange Zeit gelebt habe und auf seinen Reisen bis nach Indien gekommen sei. Andere gehen davon aus, dass Jesus noch vor dem Kreuzestod von Gott in den Himmel geholt wurde.


Der Koran steht nicht im Gegensatz zum Tanach, er betrachtet sich viel mehr als das Ergebnis einer Folge von Botschaften Gottes an Propheten, von denen Jesus einer, Mohammad ein anderer war. Alle drei Religionen, Judentum, Christentum und Islam lassen sich auf Abraham, den Stammvater der Israeliten (Juden) zurückführen. Abraham ist Begründer des Monotheismus, des Glaubens an einen einzigen, unsichtbaren Gott. Seine Geschichte wird in der Hebräischen Bibel im Buch Genesis Kap. 12-25 erzählt. Abraham heißt im Koran Ibrahim. Im Islam gilt er als großer Prophet, dessen erstgeborener Sohn Ismael zum Stammvater der Muslime wird. Doch eine große Kontroverse zwischen Koran und Bibel gibt es: die Grundlage der christlichen Dogmen, die Dreifaltigkeit (Trinität). Nach christlichem Verständnis teilt sich die göttliche Natur in drei Gestalten auf: Vater, Sohn und heiliger Geist. Für Muhammed war das nicht überzeugend: Einen heiligen Geist kann es nicht geben und Jesus war nicht Gottes Sohn, sondern ein Prophet, wie Muhammed selbst. Im Islam wird die Trinität als „Vielgötterei“ angesehen. La Ilaha illa Allahu, kein Gott außer Gott, das ist das oberste muslimische Glaubensbekenntnis: Neben Gott kann es kein weiteres göttliches Geschöpf geben.
 

Unabhängig vom Glauben, dass Bibel und auch Koran auf göttlicher Offenbarung beruhen, kann der Koran nur schlecht zur Verifizierung der Bibel herangezogen werden, da der biblische Kanon in seiner heutigen Form schon ca. 200 Jahre vor der Entstehung des Korans zum Abschluss kam. Es kann also keine Beeinflussung seitens des Korans auf die Bibel gegeben haben. Umgekehrt finden sich jedoch sehr wohl biblische Inhalte im Koran wieder. Da Muhammed den gesamten Koran vom Erzengel Gabriel empfangen hat, können einige der biblischen Geschichten, die im Koran gleichermaßen wiedergegeben werden, als bestätigt angesehen werden. So die Erschaffung des Menschen, das Paradies, der Sündenfall, die Sintflut sowie das Gleichnis von Kain und Abel.

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